Geschichten vom Aufwachsen nennt Mirjam Wiesemann ihre Erzählungen, die auf diesem SACD-Hörbuch zu hören sind. Der Obertitel Auf Flügeln in die Tiefe lässt erahnen, dass es mit dem Inhalt etwas Besonderes auf sich hat: Um welche Art von „Tiefe“ geht es? Wohin reist man? Und wie ist es um die „Flügel“ bestellt, mit deren Hilfe man dorthin kommt? Das sind Fragen, die sich schon allein deshalb nicht genau beantworten lassen, weil es sich um ein dichterisches Bild handelt, das sich nicht wie eine mathematische Formel oder ein Begriff aus dem Lexikon erklären und auflösen lässt.
Bestimmt kommt man der Sache näher, wenn man sich vor Augen führt, worum es bei den drei längeren Geschichten geht, die uns die Autorin hier vorstellt. Natürlich gehören auch die vier kürzeren Zwischentext-Dialoge, diese leicht gewebten, poetischen Gebilde, dazu.
Wer sich auf die ausführlicheren drei Erzählungen einlässt, findet schnell heraus, dass sie alle etwas mit Musik zu tun haben. Genauer gesagt damit, wie Musik wahrgenommen, empfunden und erfahren wird. Es gehört dabei zum Charakter von Mirjam Wiesemanns Geschichten, dass sich ihre Inhalte nur schwer in einer Kurzfassung wiedergeben lassen.
Da geht es in Unter dem Flügel um das allabendliche Klavierspiel eines Vaters: Der Nachklang der Musik, aber auch ihr schmerzlich empfundenes Ausbleiben wird den Sohn ein Leben lang begleiten. Warum spielst du Kontrabass, Vater? handelt von der Leidenschaft für ein Musikinstrument, die beim vernachlässigten Sohn zu selbstzerstörerischen Fieberfantasien führt. Frau Schultheiß und die Vogelstimmen schließlich dreht sich um die Beziehung eines heranwachsenden Schülers zu seiner Lehrerin, bei der u.a. der Zusammenhang von Musik und Mathematik eine wichtige Rolle spielt.
Es sind ganz alltägliche Situationen, die uns die Autorin in ihren Geschichten vorstellt. Diese werden von ihr aber auf eine Weise ausgelotet, die etwas ganz Besonderes zum Vorschein kommen lässt.
„Eine unerhörte Begebenheit“ - so hat der alte Goethe einmal über die erzählerische Form der Novelle geschrieben. Und um Unerhörtes geht es auch in Mirjam Wiesemanns Geschichten: Einmal im Sinne des ganz Besonderen und Außergewöhnlichen, Nicht-Alltäglichen, dann aber auch – ganz wörtlich genommen – um etwas, das mit dem Hören, ob tatsächlich oder eingebildet, zusammenhängt: Um Kinderlieder, deren Nachhall auch Jahrzehnte später noch im Raum schwingt, um Töne und Geräusche, die ganz plötzlich aus dem Inneren auftauchen, um Tierlaute, die noch nie gehörten Melodien gleichen. Es ist eine Welt der überraschenden Klänge und Klangfantasien, die sich vor uns ausbreitet, eine Welt, in der es um Musik und ihren Nachklang in unserem Inneren geht. Und dabei wirft die Autorin auf ihre ganz persönliche Weise Fragen auf nach dem, was Musik überhaupt ist und was sie in den Vorstellungen der Menschen bewegt. (Matthias Pötzsch)
Über die Verbindung von Wort und Musik:
Auch innerhalb dieser Produktion hat Cybele ein musikalisch-literarisches Gesamtkonzept entwickelt, das der jungen Generation durch die Synthese von Wort und Musik neue Hörerlebnisse und ein tieferes Verständnis sowohl der Musik durch das Wort als auch des Wortes durch die Musik eröffnen möchte. Hierzu wurde mit drei Musikern zusammengearbeitet, die sich in die Erzählungen einfühlten und ihnen ihre ganz unverwechselbaren „persönlichen Noten“ verliehen. Sie spielten sowohl kürzere Ausschnitte aus der Musikliteratur – jeweils auf die Inhalte der Geschichten abgestimmt interpretiert, abgewandelt oder wiederholt – als auch eigene Improvisationen und Kompositionen, bei denen es sich durchweg um Ersteinspielungen handelt.
Empfohlen ab ca. 12 Jahren
Mit Musik für Kinderklavier, Inside-Piano, Kontrabass sowie für Orgel mit Flöten- und Vogelstimmen
Sprecher:
Track 2: Ulrich Tukur
Track 4: Bastian Trost
Track 6: Sebastian Urzendowsky
Track 1, 3, 5, 7: Mirjam Wiesemann, Tara Wiesemann, Ingo Schmidt-Lucas
Mit musikalischen Improvisationen und Kompositionen für Kinderklavier (Bernd Wiesemann, Kinderklavier - Track 1, 3, 5 und 7), Inside-Piano (Bernd Wiesemann, Flügel - Track 2), Kontrabass (Wlodzimierz Gula - Track 4) sowie für Orgel mit Flöten- und Vogelstimmen (Martin Schmeding)
Track 6: Instrumente von Martin Schmeding: W. Peter-Orgel der Kunststation St. Peter (4 Manuale, 102 Register - 1997)
Kopie der „Handfluyt“ aus Jakob van Eycks „Fluyten-Lusthof“ von Andreas Schwob (Schweiz), verschiedene Blockflöten und Vogelimitationspfeifen
Wortregie: Sylvia Schlunk
Recording Producer, Musikregie: Ingo Schmidt-Lucas
Best.Nr.: Cybele SACD AB 007
ISBN: 978-3-937794-09-9
Begleitheft-Sprache: Deutsch (32 Seiten Umfang mit Digipak)